Recovery Ansatz

Der Recovery Ansatz steht für die persönliche Überwindung von Widrigkeiten, die im Zusammenhang mit einschneidenden Lebenserfahrungen (z. B. einer psychischen Krankheit) stehen. Recovery steht in diesem Kontext für Zurückkehren.
Das Ziel dabei ist, ein selbstbestimmtes, sinnerfülltes Leben an einem selbst gewählten Ort führen zu können. Recovery ist ein zutiefst persönlicher Veränderungsprozess der Haltungen, Werte, Gefühle, Ziele, Fertigkeiten und Rollen.

Es ist ein Weg, um ein befriedigendes, hoffnungsvolles und konstruktives Leben, trotz der durch die psychische Krankheit verursachten Einschränkungen zu leben. (William Anthony)

Schlüsselelemente von Recovery können sein:

  • Hoffnung
  • Sinn und Aufgabe
  • Kontrolle und Wahlmöglichkeit
  • Selbstmanagement
  • Kreativer Umgang mit Risiken
  • Beziehungen
  • Soziale Inklusion

Für Menschen, an welchen Stellen oder Institutionen sie auch immer im psychiatrischen System tätig sind, bedeutet Recovery die konsequente Fokussierung auf die Frage, wie Institutionen die einzelnen Menschen bei diesen Prozessen unterstützen können.
Obwohl erwiesen ist, dass sich Menschen von psychischen Krankheiten erholen können, ist das Recovery Konzept in der Schweiz erst in den letzten Jahren in Erscheinung getreten. In englischsprechenden Ländern ist das Modell bereits seit längerer Zeit bekannt und eingeführt.

Als Vorreiterin und intensive Verfechterin von Recovery hat sich Patricia Deegen aus den USA sehr stark engagiert.
Im Alter von 17 Jahren wurde bei ihr eine Schizophrenie diagnostiziert. In verschiedenen Publikationen beschreibt sie ihren Recovery-Weg, sowie fachliche und persönliche Zugänge zu Recovery (www.patdeegan.com):

„Als ich diagnostiziert wurde, sagte man mir, dass diese Schizophrenie den Rest meines Lebens beeinflussen wird, ich lebenslang auf Medikamente angewiesen sei und ich mich, weil ich Schonung brauche, aus dem gesellschaftlichen Leben zurückziehen soll. In dieser Phase war ich dringend auf hoffnungsvolle Botschaften und Rollenmodelle angewiesen.
Hoffnung ist für Recovery wichtig, weil sich Hoffnungslosigkeit und biologisches Leben nicht vereinbaren lassen und Hoffnung die Wurzel aller Lebensenergie darstellt.“

Patricia Deegen schreibt, es gehe nicht, dass Fachleute Hoffnung vermitteln wie Kühe Milch geben. Sie können jedoch hoffnungsvoll sein und Hoffnung zum Fundament ihrer Arbeitsweise machen.
Hoffnung unterscheide sich wesentlich von Optimismus. Optimismus sei oberflächlich und abgedroschen. Optimistische Mitarbeitende seien wie Cheerleader, die auch bei einer Niederlage ihres Teams Tanzen und Lachen. Optimisten sagen seichte, unnütze Sätze wie: „Ich weiss einfach, das Du wieder gesund werden kannst.“ oder „Alles wird gut, morgen wird ein besserer Tag sein.“.
Hoffnungsvoll zu sein bedeutet, voll und ganz in der Gegenwart zu stehen und mit der Ungewissheit der Zukunft umgehen zu können.
Bei der Herausforderung einer recovery-orientierten Arbeit geht es nach Patricia Deegen um das Finden des Gleichgewichts zwischen der Würde, des Risikos und der Pflicht sich zu kümmern.
Fachleute können überbehüten in dem sie versuchen Klientinnen und Klienten zur „richtigen Entscheidung“ zu beeinflussen oder sie dazu zu zwingen. Auf der anderen Seite des Kontinuums steht die Vernachlässigung oder Gleichgültigkeit. Sätze wie: „Wer A sagt muss auch B sagen.“, „Das wird ihm eine Lehre sein.“ oder „Wir müssen diese Person nur den Tiefpunkt erreichen lassen, dann wird sie ihr Verhalten schon anpassen.“, zeugen nicht von Selbstbefähigung sondern von Vernachlässigung. Fachleute haben die Verantwortung mit den Menschen in Verbindung zu bleiben, unabhängig davon, welche Wahlmöglichkeiten und Entscheidungen diese treffen. Dies nennt man die Pflicht, sich zu kümmern.
Im Gegensatz zu Vernachlässigung und Überbehütung gehört das konsequente Unterstützen bei Entscheidungen zur soliden und fachlichen recovery-orientierten Praxis.

Patricia Deegen schreibt, dass ein Leben, in dem nur Leute mit dir Zeit verbringen, die dafür bezahlt werden, stressig ist.
Eine hoffnungsvolle Umgebung zeichnet sich durch Menschlichkeit aus. Mitarbeitende, die an ihren Arbeitsplätzen Wertschätzung und Respekt erhalten, sind eher in der Lage ihren Klienten mit Hoffnung und Respekt gegenüber zu treten. Die Institutionen sind also gefordert, für eine recovery-orientierte Gestaltung der Unterstützung geeignete Mitarbeitende zu finden.
Handlungsleitende Werte für recovery-orientierte Dienste beschrieben durch Farkas et al.2005

  • Fokus auf Menschen und seine individuelle Lebensgeschichte _ nicht auf den Fall
  • Partnerschaft _ nicht Compliance und Alibipolitik
  • Wahlmöglichkeit _ nicht Zwang
  • Zuversicht _ nicht Hilflosigkeit

Recovery bedeutet, sich auf Risiken einzulassen, mit Risiken zu leben. Institutionen, die Menschen auf ihrer Recovery Reise unterstützen, müssen Betroffene und ihre Bezugssysteme auch beim Managen von Risiken unterstützen und begleiten. Dafür braucht es Mut und Augenhöhe. Eine wichtige Voraussetzung um Recovery Konzepte zu etablieren, ist ein multiprofessionelles Schulungskonzept, worin die Inhalte des Recovery Konzeptes vermittelt und praktische Erfahrungen gesammelt und reflektiert werden können. (Gianfranco Zuaboni & Michael Schulz)
Betula hat sich vor einiger Zeit auf den Recovery Weg gemacht. Im Jahr 2014 wird eine angehende Peer Beraterin ihr Praktikum in der Einrichtung ausführen. In einer Projektgruppe werden zudem folgende Kernpunkte verfolgt:

  • Bewohner/-innen Rat
  • Recovery Information, Weiterbildung und Haltungsfindung bei Bewohnerinnen, Bewohnern und Mitarbeitenden
  • Peer Mitarbeitern
  • Trialog Gespräche

In loser Folge werden wir auf unsere Webseite über unseren Recovery Weg berichten.

Ch. Brönimann

 

Literatur
Recovery in der Praxis
Voraussetzungen, Interventionen, Projekte
ISBN-10:3-88414-556-8, Psychiatrie-Verlag GmbH

4 Kommentare zu „Recovery Ansatz“

  1. Seit dem 1. Oktober absolviere ich mein Praktikum als Peer im Betula. Viele Fragen gingen mir vor Arbeitsbeginn durch den Kopf: Wie werde ich empfangen? Wie kann ich mich als Peer einbringen? Wie empfangen mich die Mitarbeitenden? Kann ich mich abgrenzen? Bin ich genug belastbar? Wie sind die Bewohner/-innen? Werde ich von ihnen als Teammitglied für die nächsten 2 Monate akzeptiert? Was sind meine Aufgaben? ….

    Mit all diesen Fragen im Kopf bin ich dann doch recht nervös am ersten Arbeitstag auf mein Fahrrad gestiegen. Doch all meine Ängste sind nach den ersten Arbeitstagen verflogen. Ich bin sehr offen empfangen worden! Da ich auch den Bewohnern gegenüber keine Berührungsängste habe,
    hoffe ich, dass ich von der/dem Einen oder Anderen noch etwas mehr über ihre/seine persönliche Geschichte erfahren darf und wer weiss, vielleicht kann ich ja durch meinen Recoveryweg etwas Mut und Hoffnung machen.

    Gibt es weitere Personen, die über ihre Erfahrungen im Einstieg als Peer Mitarbeitende berichten wollen? Was sind aus eurer Sicht erfolgsversprechende Umstände?

    15.10.2014 angehende Peer

  2. Im Vorfeld der Anstellung setzten wir uns im Betula intensiv mit den Rahmenbedingungen, Aufgaben, Kompetenz und Verantwortungen sowie der Rolle auseinander, welche die Peer Praktikantin bei uns übernehmen soll.
    Es bestehen kaum Unterschiede zu den Bedingungen, welche Praktikantinnen für sozialpädagogische Ausbildungen vorfinden. In Anbetracht des besonderen Einsatzfeldes entschieden wir uns aber Aufgaben, Kompetenzen, Verantwortungen sowie die Pflichten in einer Peer Stellenbeschreibung festzulegen. Die Praxisanleitung geschieht über die bereits bestehende Stelle der Praktikumsbegleiterin. Während des Einstiegs besteht die Möglichkeit sich nach jedem Dienst über die Erlebnisse auszutauschen und zu reflektieren.

    Wir haben uns entschieden die Peer in der WG Tilia, im Wohnheim und der Beschäftigungswerkstatt Ilex einzusetzen. Dort hat sie sich und ihre Aufgabe und Rolle jeweils am ersten Arbeitstag vorgestellt.
    Selbstverständlich unterscheiden sich Rechte und Pflichten nicht zu anderen Mitarbeitenden und unsere Peer hat uneingeschränkten Zugang zu Informationen, Austauschgefässen und Infrastrukturen des Betula.
    Ich bin gespannt zu hören, in welche Strukturen Peer Mitarbeitende in anderen Einrichtungen eingebettet sind.

    15.10.14/Ch. Brönimann

  3. Ich bin im Betula in 3 verschiedenen Bereichen eingeteilt und das ist sehr interessant. Verschiedene Teams, verschiedene Bewohner, verschiedene Aufgaben. Ich bin auch etwas
    Skepsis begegnet, was völlig verständlich ist für mich. Es hat mir gezeigt wie wichtig eine gute Vorbereitung ist. Wenn alle vom Team wissen, wer da kommt und was für Aufgaben
    der Peer zugeteilt sind, dann läuft der Start sehr gut. Und so überwiegen auch bei mir das Gefühl von Freude und Offenheit deutlich. Es berührt mich wenn ich merke, dass ich mich nach so kurzer Zeit einbringen kann und meine Meinung gefragt ist. Ich bin beeindruckt, wie wohlwollend und ehrlich die Teams miteinander, und auch mit mir umgehen und so freut es mich, dass
    ich nach den ersten Tagen müde, aber stets mit einem guten Gefühl nach Hause gegangen bin. Ich bin sehr gespannt, was mich in den nächsten Wochen noch so alles erwartet und
    freue mich darauf!
    Gibt es Erfahrungen die gerne ausgetauscht werden möchten über die Einbindung von Peers in den ersten Tagen? Gibt es Erfahrungen mit Skepsis ?
    23.10.2014 Angehende Peer

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